Ist es wirklich möglich, Rechtsprechung vorherzusagen? Oder ist der Begriff der Prognose gerade in Bezug auf Rechtsprechungsauswertungen angemessener? Der Unterschied zwischen den Begriffen "Prognose" und "Vorhersage" mag auf den ersten Blick gering erscheinen, hat jedoch in bestimmten Kontexten, insbesondere im Bereich der Rechtsprechungsauswertungen, wichtige Bedeutungsnuancen. Warum eine Differenzierung von Bedeutung ist und welche Grundsatzfragen sich daran entflammen, soll im folgenden Beitrag diskutiert werden.
Rechtsprechungsauswertung kann verschiedene Charaktere aufweisen: beschreibend, diagnostisch oder prädiktiv, bzw. prognostisch. Bei der beschreibenden Analyse stützen sich die Aussagen jeweils auf deskriptive Werte: Was passiert oder wie wurde geurteilt? Wie lange war die durchschnittliche Verfahrensdauer? Wohingegen bei der diagnostischen Analyse bereits der Schwerpunkt auf die Defizite in der Rechtsprechungspraxis gelegt werden. Hier liegt der Schwerpunkt in bestimmten Problembereichen, wie beispielsweise der Feststellung, dass Prozesse nicht in der Art und Weise ablaufen, wie sie normativ vorgesehen waren. Die letzte Kategorie stützt sich auf die prädiktive, bzw. prognostische Form der Datenauswertung. Sinn und Zweck dieser Analyse ist es, die vorhandene analysierte Rechtsprechung zu verwenden, um damit gewinnbringende Aussagen bezüglich des kommenden Verfahrens zu treffen.
Wenn es um zukünftige Rechtsprechung geht, wird schnell an automatisierte Entscheidungsfindung in Form eines "Richter-Roboters" gedacht. Ein "Richter-Roboter" bezieht sich auf eine hypothetische oder potenzielle technologische Entwicklung, bei der künstliche Intelligenz (KI) oder Roboter eingesetzt werden könnten, um einige oder alle Funktionen eines menschlichen Richters im Rechtssystem zu übernehmen. Der allwissende "Richter-Roboter" scheint sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt zu haben: Viel Aufsehen wurde in der Vergangenheit mit diesem Zukunftsszenario erregt. Eine Künstliche Intelligenz, welche für einen menschlichen Richter das Urteil fällt. Dieser – so die Idee – würde wissen, wie die "richtige" Rechtsantwort lautet, also Rechtsprechung vorhersagen und Menschen vollends durch Maschinen ersetzt werden. Bei der automatisierten Entscheidungsfindung könnten KI-Systeme verwendet werden, um rechtliche Argumente zu analysieren und automatisch Urteile für bestimmte Fälle zu generieren. Diese Systeme würden auf Algorithmen basieren, die aus historischen Gerichtsentscheidungen lernen und Trends in der Rechtsprechung erkennen.
Der Begriff "Vorhersage", der im Bild des allwissenden Richter-Roboters oftmals mitschwingt, kann aber auch missverstanden werden, denn er impliziert, dass das Ergebnis absolut sicher sei und in jedem Fall eintreten wird. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen, wenn es tatsächlich eine gewisse Unsicherheit gibt. Die Begrifflichkeit der Vorhersage impliziert, dass KI in der Lage wäre umfassenden Einblick in die Rechtssystematik erlangen und selbstständig ein Urteil fällen zu können. Das ist irreführend und führt im schlimmsten Fall zu Ängsten, welche das demokratische Fundament erschüttern können.
Bei dem allwissenden Richter-Roboter, der die Rechtsprechung "vorhersagen" kann wird es aber bei einem Zukunftsszenario bleiben. Denn die technischen Systeme sind derzeit nicht in der Lage Rechtsprechung vorherzusagen. Daher sollte in Bezug auf Rechtsprechungsanalysen, die auf zukünftige Rechtsprechung abzielen eher von Prognosen gesprochen werden. Mit dem Begriff prädiktiv werden nämlich gewisse Sicherheiten in Bezug auf Rechtsprechungsvorhersage suggeriert, welche schwerlich zu realisieren sind und falsche Erwartungen wecken können. Der Begriff "Vorhersage" impliziert oft eine gewisse Sicherheit und Genauigkeit, die in der Rechtsprechung nicht immer gegeben ist. Daher sollte der Begriff abgelehnt werden. Die Methoden, welche bei Rechtsprechungsauswertungen zur Anwendung kommen, beruhen auf statistischen Methoden zur Analyse der vergangenen Rechtsprechung. Dabei wird juristische Argumentation nicht reproduziert, wie es in Science-Fiction-Vorstellungen von „Richter-Robotern“ oftmals skizziert wird; Rechtsprechungsanalysen beschreiben hingehen die justizielle Wirklichkeiten anhand der ihr vorliegenden Urteile. Denn es geht eben nicht darum Gerichtsentscheidungen vorherzusagen, sondern darum, ähnliche Entscheidungen zu sammeln, mit statistischen Methoden auszuwerten um damit in der Lage zu sein, das Risiko des jeweiligen Falles zu quantifizieren. Der Begriff "Vorhersage" kann manchmal den Eindruck erwecken, dass das Ergebnis bereits feststeht oder subjektiver ist und ist daher zu vermeiden.
Der Unterschied zwischen den Begriffen "Prognose" und "Vorhersage" mag subtil erscheinen, hat jedoch in bestimmten Kontexten, insbesondere in Bezug auf Rechtsprechungsauswertungen, eine gewisse Bedeutung. Es geht demnach um Wahrscheinlichkeiten, um eine Prognose, nicht darum die Rechtsprechung vorherzusagen. Schwerpunkt der Rechtsprechungsanalyse ist es, die vorhandenen Daten auszuwerten. Daher gilt es, den Begriff der "Prognose" in Bezug auf Rechtsprechungsauswertungen vorzuziehen, auch um Übersimplifizierung zu vermeiden. Der Begriff "Prognose" betont eher die Notwendigkeit, auf fundierten Analysen und rechtlichen Prinzipien basierende Einschätzungen vorzunehmen, anstatt einfach nur eine Meinung oder Vermutung auszudrücken. Insgesamt trägt die Verwendung des Begriffs "Prognose" in Bezug auf Rechtsprechungsauswertungen dazu bei, die Komplexität und den informierten Charakter der Analyse zu betonen, während der Begriff "Vorhersage" eher eine mechanische und vereinfachte Sichtweise auf die Zukunft suggerieren kann.